TULUM – IM BANN DER MAYA.

Geheimnisvolles Rascheln im dichten Gebüsch. Neugieriges Schnüffeln. Enttäuschtes Schnauben. Die fetten Blätter bewegen sich, machen gemächlich einer schmalen schwarz-weißen Rüsselnase Platz. Sie verharrt einen Moment regungslos. Wartet. Erneutes geräuschvolles Schnüffeln. Ein schwarz glänzendes Augenpaar erscheint im Dickicht.

Zwölf Meter stürzt sich die Kalksteinklippe hinab ins karibische Meer. Dort oben klammert sich, nahe des Abgrunds, die steinerne Ruine fest an den felsigen Untergrund. Tempel des Windes. Die zerklüftete Steilwand ist stark bewachsen. Dunkles buschiges Grün scheint die felsigen Risse aufzusprengen. Wildes sattes Gestrüpp umwuchert, erklimmt, verschlingt den Ort außerordentlicher Schönheit und kolossaler Schroffheit.

Sanftes klares Türkis wellt gemächlich auf feinen weißen Sand. Zieht sich bedächtig zurück, um kurz darauf auf einen erneuten Besuch vorbei zu rauschen. Stetig und unablässig nagt die See seit Jahrhunderten an den Klippen. Weiter draußen tanzt helle Gischt auf dunkel daher rollendem Wasser. Weiße Schaumkämme zieren wie feine Spitze das dunkle Nass.

Sonne hat den morgendlichen Regen vertrieben. Auf den großzügigen Rasenflächen glänzen gläserne Perlen. Jede trägt einen kleinen Regenbogen. Zart schmelzen sie unter den hitzigen Liebkosungen der Sonne dahin. Die Ruinen liegen geschützt innerhalb eines steinernen Walls. Auf ihren warmen Fels-Quadern räkeln sich gewichtige, eindrucksvolle Echsen. Geduldig blinzeln die massiven Tiere in die Kameras vorüber schleichender Touristen. Kommt ihnen jedoch einer zu nahe fauchen sie warnend. Oder verschwinden blitzschnell zwischen den engen Felsspalten. Heimlich einem Guide lauschend erfahre ich, einige der Ungetüme sind nicht nur alt und alteingesessen, sie hören überdies auf ihre Namen. Irgendwie glaube ich das sogar.

Die Gebäude gleichen in ihrem Aufbau mehr Festungen denn Pyramiden. Wenig ist noch erhalten. Dennoch, breite Treppen, dicke Säulen und eigentümliche Wandbemalungen lassen das Geheimnis der vergangenen Hochkultur erahnen. Wie im Dornröschen-Schlaf besiedeln wilde Blüten mehr und mehr die Mauern. Fast scheint sich der Schleier des Mysteriums über die einst opulenten Gebäude gelegt zu haben.

Die Nase rümpft sich. Auf leichten Pfoten schiebt sich der Nasenbär aus dem Dickicht. Tänzelt vor die entzückten Objektive. Setzt sich in Pose. Wartet. Ein Raunen geht durch die kleine Menge. Oh mein Gott ist das süß! Die bedeutenden Ruinen, die beeindruckenden Klippen, die wärmenden Sonnenstrahlen, alles ist in dem Augenblick vergessen. Das rotbraune Fell glänzt. Die Schnurrbart-Haare vibrieren. Gemächlich kratzt sich diese niedliche Kugel den Bauch. Blickt abwartend zum Blitzlicht. Wie ein Schelm genießt der Nasenbär die Aufmerksamkeit, bevor er wieder ins Unterholz verschwindet und eine feiernde Meute hinterlässt.

25. Januar 2014