NO MONEY IN MÉXICO.

Aufgebrachte Worte dringen durch die Glasscheibe. Mexikanisches Temperament, zornige Blicke durchbohren die Tür. Die Frau hebt drohend ihre geballte Faust. Erbost rüttelt sie den Griff. Hilflos blicke ich sie an. Panik hinterlässt kleine Perlen auf Stirn und Oberlippe.

Die Ankunft in Cancun ist planmäßig. Gemächlich tuckert der übergroße klimatisierte Reisebus in den Bahnhof. Die Nachtfahrt war lang. Unterbrochen lediglich durch kurze Pinkelpausen. Gähnend, die steifen Glieder streckend und müde blinzeln erwacht der Bus. Gardinen werden raschelnd zurück gezogen. Geben den Blick hinaus frei. Dort draußen erstrahlt die Sonne den sanft-blauen Vormittags-Himmel. Das ausgeladene Gepäck bildet eine wacklige Pyramide. Hände greifen sich Taschen und tragen sie davon.

Ein einziger kleiner Bus fährt täglich hinauf zur Isla Holbox. Die Insel Inbegriff der Gediegenheit. Einziges Fortbewegungsmittel sind kleine elektrische Golf-Autos oder die eigenen Füße. Stress – kennt man nicht. Müßiggang nicht Privileg sondern Standard. Die Offenbarungen der Zivilisation aufs Wesentliche beschränkt. Elektrizität rationiert. Offline. 12 Uhr, noch drei Stunden. Zeit genug, Tickets zu kaufen, zu frühstücken und Geld zu holen. Es ist der 23. Dezember, der Tag vor Heilig Abend.

Die Verbindung ist schlecht. Die Warteschleife zerrt an meinen Nerven. Ich wiederhole erneut alle Angaben um mich zu verifizieren. Ungeduldig schreite ich vor der kleinen Theke auf und ab. Bleibe ruckartig stehen, als das Signal abzureisen droht. Die Stimme am Telefon fragt mich wieder und wieder die selben Fragen. Mein Faden reißt. Es ist kurz vor Weihnachten und meine Bank kann mir nicht erklären, weshalb jeder ATM in dieser Stadt meine Kreditkarte verweigert. Die Zeit läuft. Der Bus fährt, so oder so. Erklärungsversuche am anderen Ende. Entschuldigende Worte. Die Verbindung unterbricht. Scheisse! Vor Wut steigen mir tränen in die Augen. Die Kreditkarten-wir-helfen-Ihnen-in-jedem-Fall-Nummer hacke ich auswendig in die Tasten. Kurz vor Feierabend im fernen Deutschland. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen.

Unzählige Telefonate tröstender Erklärungsversuche, hilflosem Gestammel, wütenden Anfeindungen und weinerlichem Flehen später stehe ich einem weiteren gesichtslosen Geldautomaten gegenüber. Das Duell beginnt. Beinahe kann ich im Augenwinkel den vertrockneten Grasballen vorbei rollen sehen. Ich bin bereit meine Pistole zu ziehen. Die Öffnung saugt gierig das Plastik ein. Meine Finger gleiten über die Tasten. Bestätige. Bestätige, aus purem Aberglauben, auch die Spendenaufforderung. Und – bekomme einen Korb. Kein Geld für mich.

Salzigen Perlen rennen meinen Nacken hinab. Draussen presst die Frau ihre fettige Stirn ans Glas. Ihre Blicke töten mich. Ihre Faust hämmert an die Tür. Ich gebe auf. Noch während ich hinaus trete zwängt sie ihren massigen Körper an meinem vorbei ins Innere. Ich klammere mich an meine letzte Hoffnung: Der Bankschalter.

Mitleidig betrachtet mich die Bankangestellte. Überprüft mehr als gewissenhaft meine Kreditkarte, meinen Ausweis, mich. Ich halte den Atem an. Fast zerreißt es mich. Gerade, als ich mir erlaube nach Luft zu schnappen greift sie einen Stapel Scheine und reicht mir mein Geld. Die Erleichterung zaubert meine Knie butterweich. Ich kann mein Glück kaum fassen. In meinen Händen halte ich genug Geld für die nächsten vier Tage. Es ist kurz nach zwei. Der einzige Bus nach Holbox ist weg.

4. Februar 2014