GIPFELSTÜRMER BRAUCHEN KEIN FRÜHSTÜCK.

Leise, kaum merklich, löst sich unter dem Druck meiner Schuhsohle ein Krümel Erde. Kullert mit zunehmender Geschwindigkeit den Hang hinab. Sammelt eine Wolke weiterer Krümel auf und reißt sie mit sich. Jetzt rennt eine ganze Lawine an Dreck den steilen staubigen Weg hinunter.

Dreckig wie ein Türsteher grinst die kleine rechteckige Luke, Licht und frische Luft kommen hier nicht rein. Gestern nicht, heute nicht und morgen wohl auch nicht. Die Kabine ist genau so groß, dass ein Doppelbett, ein Tischlein und ein Klappstuhl darin Platz finden. Oben an der Decke Wasserflecken, die vergilbte Tapete löst sich flächig. Das dünne, ausgefranzte Laken klebt klamm an der Haut. Das früher einmal weiße Kissen ist durchgelegen. Die Matratze verjüngt sich sanft zur Mitte hin in ein Schwarzes Loch. Zeit aufzustehen.

Das Holzboot schaukelt gediegen auf den Wellen. Rumpf hoch, Rumpf runter, hinein ins Wasser. Kleine Tropfen spritzen empor, fallen zurück in den tiefdunklen Ozean. Der Motor schiebt das Schiff emsig voran. Röhrt, brummt, heizt die Luft unter Deck zu einer feuchten Wolke auf. Diesel liegt schwer in der Luft, verfängt sich im Haar, ummantelt die Haut und setzt sich tief in die Poren.

Das winzige Beiboot neigt sich beängstigend, als es noch eine weitere Person aufnehmen muss. Unsere Knie quetschen sich aneinander, die Ellenbogen vor dem Körper, kauern wir auf der Holzbank. Leichte Schlagseite. Das Meer schwabbt großzügig herein. Eine Runde “Reise nach Jerusalem” später sind wir ausgeglichen. Der Propeller des Motors schlägt kurz die Luft, bevor er das Wasser wegschiebt und uns Richtung Strand bringt.

Mein Magen gluckert, knurrt und weint gar jämmerlich. Lauwarmes Wasser und zwei Butterkekse machen eben kein Frühstück. Egal. Die Sonne geht gleich hinten am Horizont auf. Der versprochene atemberaubende Blick über Gili Lawa im Komodo National Park lockt uns noch vor dem Genuss fluffig honigsüsser Pancakes und kräftigem schwarzen Tee nach oben. Meine Knie zittern, der Schweiß rinnt meinen Nacken hinab. Erst auf halber Höhe.

Wir sind dem Augenblick ausgeliefert. Die aufgehende Sonne verwandelt die Luft in Gold. Blendet. Einen Moment steht die Zeit still. So einfach und zugleich ein so wahnsinniges Naturschauspiel. Der Tag erwacht. Die Hügelketten der Inseln um uns herum liegen tief unten zu unseren Füßen. Dort unten glitzern silberne Wasserperlen auf dem heller und heller werdenen blauen Wasser. Das Boot treibt wie gemalt, festgehalten in einem überquellenden Landschaftsporträt, in der weißsandigen Bucht. Für diesen gar wunderbaren Moment kann das Frühstück noch ein bisschen länger warten.

18. Mai 2015