Im Bann von Angkor Wat

ANGKOR WAT · KAMBODSCHA

Quietschenden Rades biegt unsere kleine Fahrrad-Rikscha rechts ab. Hinunter vom Teer, hinauf auf staubigen, losen Boden. Rötlicher Sand wirbelt aufgeregt auf, hält sich einen Wimpernschlag lang in der Luft, legt sich einem Schleier gleich über die Felgen des Rades und tanzt schließlich im grellen Neonschein wieder matt zurück gen Boden.

Aus der Traube an korrekt uniformierten Frauen löst sich eine der Kontrolleurinnen und überreicht uns beidhändig die kontrollierten Tickets. Ich lasse sie in meine Tasche gleiten, nachdem ich sie, ebenfalls beidhändig, entgegen nehme. Augenblicke später finden wir uns auf der Asphaltgeraden wieder. Die Pedale wirbeln im Kreis, die Räder springen über kleinere Gräben und größere Löcher im Teer. Wir liefern uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einer anderen Rikscha. Jede Minute zählt. Kurz vor der Abzweigung in den engeren Kreis des Geländes verlässt unseren Rivalen scheinbar die Kraft, er fällt zurück.

Wie mehrlagige Speerspitzen mit kleinen Ausbuchtungen und Einkerbungen liegen die Türme im silbernen Mondschein vor uns. Am Horizont zeichnet sich bereits sanft die herannahende Dämmerung ab. Es ist sehr früher Morgen, als wir den langen Steg über das Wasserbecken zur Tempelanlage hinüber gehen. Vor und hinter uns, rechts und links von uns, bewegen sich Menschen auf unser Ziel zu.

Leises Murmeln, andächtiges Wispern und die Erinnerung einer kühlen Nacht erfüllt die Luft. Herunterfallendes Mondlicht schimmert auf dem kleinen See vor dem Haupttempel. Vor uns füllt sich stetig der an das Wasser angrenzende Rasen mit Wartenden. Einige Hundert sind es bereits. Dicht an dicht stehen sie dort. Tippeln auf ihren Zehen. Recken die Hälse. Jeder auf seine Art auf der Suche nach dem Platz an dem sich das Schauspiel wohl am Besten verfolgen lässt. Eine kleine, etwas abgelegenere, hinter einer ausladenden Palme versteckte Anhöhe dient ausser uns noch einigen Anderen als Sitzgelegenheit.

Braune, blaue, müde, grüne, kleine, alte und aufmerksame Augen richten sich auf den Tempel von Angkor Wat, starren gebannt auf die immer intensiver leuchtende Szenerie. Die Umrisse leuchten heller und heller. Jäh zerreisst die erwartungsvolle Stimmung, fällt in sich zusammen. Verkäufer dringen in diesen intimen Moment ein, bieten lautstark Kaffee, Zigaretten und allerlei Kram feil. Manch einer nimmt das Angebot dankbar an. Alle anderen zwicken die Augen zusammen und blicken auf den sich immer heller färbenden Himmel. Der Tempel erstrahlt in glühendem Rotgelb. Irgendwo hinter der ausladenden Palme.

1. November 2015